07.08.2006

Helge Brunkhorst

Kochsalz ist giftig

Hausarbeit zur Veranstaltung "Allgemeine Lehren einschließlich Strafrechtsschutz von Leben und Gesundheit" von Prof. Dr. Peter Thoss, Bremen - Der Autor studiert im 2. FS (SoSe 2006) Jura an der Universität Bremen. (helge.brunkhorst@uni-bremen.de)

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Aufgabe

Mutter M stillt ihr Neugeborenes. Deshalb holt sich ihre 4jährige Tochter A in der Küche nebenan selbst einen 200g-Becher Schokoladenpudding mit Sahne aus dem Kühlschrank. Um den Pudding zusätzlich zu süßen, will sie Zucker darüber streuen, nimmt aber irrtümlich eine Salzpackung und rührt 32 g Kochsalz in die Süßspeise. Gleich beim ersten Kosten merkt sie, dass der Pudding ungenießbar ist und lässt ihn stehen. Als M in die Küche kommt, die Salzpackung auf dem Boden liegen und den ungegessenen Pudding sieht, stellt sie A zur Rede. A sagt, der Pudding schmecke widerwärtig und sie wolle ihn nicht essen. M erkennt, dass A versehentlich Salz in die Süßspeise gerührt hat, wird zornig und zwingt das sich sträubende Kind zu dessen Erziehung und Bestrafung, die Schokoladencreme vollständig auszulöffeln. Dass das bei A zu Magenverstimmungen, Bauchschmerzen oder Unwohlsein führen wird, nimmt sie hin. Jedoch weiß sie weder, wie viel Salz genau die Süßspeise enthält, noch ist ihr bekannt, dass die Aufnahme von 0,5 bis 1 g Kochsalz pro Kilogramm Körpergewicht (A wiegt 15 kg) in aller Regel zum Tode führt. Kurz darauf wird A übel, sie muss sich erbrechen und bekommt starken Durchfall. Als sich ihr Zustand zusehends verschlechtert und sie schließlich kaum noch ansprechbar ist, bringt M sie ins Krankenhaus. Dort wird sogleich eine Kochsalzvergiftung festgestellt. Trotz Notfallbehandlung ist A nicht zu retten und stirbt.

Bitte äußern Sie sich gutachtlich, ob und inwieweit der M Körperverletzung bzw. Tötung vorzuwerfen ist.

Ausarbeitung

A. Strafbarkeit wegen Totschlag gem. § 212 scheidet aus, da dem Sachverhalt kein auch nur bedingter Tötungsvorsatz zu entnehmen ist.

B. M könnte sich wegen gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223 I, 224 I Nr.1, 5 strafbar gemacht haben, indem sie A zwang, den versalzten Pudding vollständig auszulöffeln.

I. objektiver Grundtatbestand: Dazu müsste M die A körperlich misshandelt (Alt.1) oder an der Gesundheit geschädigt (Alt.2) haben.

1. Fraglich ist, ob eine unmittelbare Erfolgsherbeiführung durch Handlung von M vorliegt. Nach einer Ansicht liegt in Fällen, in denen der Täter so auf das Opfer einwirkt, dass dieses die Erfolgsherbeiführung selbst bewirkt, mittelbare Täterschaft (§ 25 I Alt.2) vor.1 A löffelt den Pudding selbst vollständig aus. Sie wird von M durch überlegene Willensherrschaft als Tatmittler gegen sich selbst2 dazu gezwungen. Demnach läge mittelbare Täterschaft der M vor. Eine andere Ansicht sieht in Situationen, die vollständig durch den vom Täter gesetzten Zwang beherrscht werden, eine unmittelbare Täterschaft (§ 25 I Alt.1).3 Obwohl A sich sträubt, isst sie den Pudding. Dies, sowie das junge Alter der A und die M als elterliche Autoritätsperson deuten darauf hin, dass allein M die Situation beherrscht hat. Somit läge unmittelbare Täterschaft vor. Folglich liegt jedoch nach beiden Ansichten unproblematisch eine Täterschaft der M und eine Erfolgsherbeiführung durch ihre Handlung vor.

2. M könnte A körperlich misshandelt haben. Eine körperliche Misshandlung ist eine üble, unangemessene Einwirkung auf den Körper des Verletzten, die dessen körperliches Wohlbefinden mehr als bloß unerheblich beeinträchtigt.4 M zwingt A, den widerwärtig schmeckenden Pudding zu essen. Dies ist eine üble, unangemessene Einwirkung, die nicht durch einen veralteten erzieherischen Zweck gedeckt sein kann5, da M den Verwechslungsirrtum der A erkennt und eine Disziplinierung nicht ansatzweise Sinn ergibt. Die Verursachung von Ekel reicht als Beeinträchtigung des Wohlbefindens im Regelfall nicht aus.6 Jedoch handelt es sich bei A nicht um ein kurzfristiges Empfinden.7 Der ungenießbare Pudding ruft körperliche Abwehrreaktionen bei A hervor. Sie muss sich erbrechen und bekommt starken Durchfall. Dies ist eine erhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens. Somit hat M die A körperlich misshandelt.

3. M könnte A auch an der Gesundheit geschädigt haben. Als Gesundheitsbeschädigung im Sinne der §§ 223 ff. ist jedes Hervorrufen oder Steigern eines vom Normalzustand der körperlichen Funktionen des Opfers nachteilig abweichenden Zustandes anzusehen.8 Durch das Zwingen zum Essen durch M wurde Übelkeit, Erbrechen und starker Durchfall bei A hervorgerufen. Ob dies mehr als nur eine unerhebliche Beeinträchtigung der Gesundheit ist, unterliegt normativer Bewertung.9 Es ist ausreichend, dass sich das Opfer übergeben muss.10 Somit hat M die A auch an der Gesundheit geschädigt.

4. Das Zwingen zum Essen durch M ist gemäß der Äquivalenztheorie nach der Conditio-sine-qua-non-Formel11 auch kausal für den tatbestandsmäßigen Erfolg bei A.

5. Folglich hat M die A gem. § 223 I Altt.1, 2 körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt.

II. subjektiver Grundtatbestand: M müsste bezüglich des objektiven Tatbestandes vorsätzlich gehandelt haben. (§ 15) Vorsatz ist der Wille zur Verwirklichung eines Straftatbestandes in Kenntnis aller seiner objektiven Tatumstände.12 M will A mit dem Zwang zum Verzehr des Puddings erziehen und bestrafen. Es kommt ihr somit gerade darauf an13, den Tatbestand der Misshandlung zu verwirklichen. Insoweit handelte M mit dolus directus 1. Grades. Des Weiteren nimmt sie hin, dass es bei A zu Magenverstimmungen, Bauchschmerzen oder Unwohlsein führen wird. Soweit dies als Anzeichen dafür gedeutet wird, dass M die Folgen als sicher voraussieht, handelt sie mit dolus directus 2. Grades bezüglich der Gesundheitsschädigung, auch wenn ihr diese an sich unerwünscht ist.14 Jedenfalls hält M die Gesundheitsschädigung ernstlich für möglich und findet sich damit ab.15 Somit handelte sie mit dolus eventualis. Folglich hat M bezüglich der Tatbestandsverwirklichung vorsätzlich gehandelt.

III. Rechtswidrigkeit: Das Handeln der M könnte durch ein so genanntes Züchtigungsrecht gerechtfertigt sein. Früher galten Misshandlungen aus erzieherischen Motiven als gerechtfertigt, wenn ein Recht zur Züchtigung maßvoll und angemessen ausgeübt wurde.16 A wollte kein Salz in ihren Pudding rühren. Sie erkennt ihren Irrtum. Einer Erziehungsmaßnahme oder Bestrafung bedarf es nicht und ist in keinem Maße angemessen. Selbst nach der veralteten Ansicht ist eine Rechtfertigung ausgeschlossen. § 1631 II BGB verbietet nunmehr körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen. Eine Herabsetzung des Würdemaßstabes bei Kindern gegenüber Erwachsenen verbietet schon die Ausstrahlung des Art. 1 I 1 GG. Eine vorsätzliche Gesundheitsschädigung war nie gerechtfertigt. Folglich handelte M nicht gerechtfertigt.

IV. Schuld: Entschuldigungsgründe wie ein Erlaubnistatbestandsirrtum (aus § 17) bezüglich Züchtigungsrechts sind nicht ersichtlich.

V. Zwischenergebnis: M hat sich wegen Körperverletzung gem. § 223 I strafbar gemacht, indem sie A zwang, den versalzten Pudding vollständig auszulöffeln.

VI. objektiver Qualifikationstatbestand

1. M könnte die Körperverletzung gem. § 224 I Nr. 1 durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen begangen haben.

a) Salz müsste ein geeignetes Tatmittel sein. Nach dem Wortlaut des § 224 I Nr. 1 ist jeder Stoff, der unter den konkreten Bedingungen geeignet ist, die Gesundheit iSd § 223 I Alt. 2 zu schädigen, als Tatmittel geeignet.17

aa) Salz könnte als Tatmittel jedoch generell ausscheiden. In Frage kommt ein Ausschluss nach einer gesellschaftlichen Empfindung der Ungefährlichkeit.18 Auch nach einer vom BGH gedeuteten Literaturmeinung19 könnten Stoffe, die unter gewöhnlicher Verwendung nur leichte Gesundheitsschäden hervorrufen, ausgeschlossen werden. Allgemein als harmlos angesehene Stoffe wie Salz würden demnach niemals gefährliche Stoffe sein können. Jedoch besagt die Literaturmeinung20 vielmehr, dass leicht Gesundheitsschädliche Stoffe nicht ohne weiteres generell als Stoffe iSd § 224 I Nr.1 gesehen werden dürfen. Der Umkehrschluss ist nicht zulässig und so ein genereller Ausschluss nicht ernsthaft vertreten. Folglich scheidet Salz als Tatmittel nicht von vornherein aus.

bb) Das Salz müsste die grundlegenden Voraussetzungen als Tatmittel erfüllen. Zunächst besteht Einstimmigkeit dahingehend, dass eine Körperverletzung gerade durch den beigebrachten Stoff erfolgen muss. Es reicht somit nicht aus, dass sich neben dem Vorhandensein von einem Stoff tatsächlich eine andere Gefahr verwirklicht, ohne dass die spezifische Gefahr, die gerade von dem Stoff ausgeht, realisiert wird. Während § 229 in der alten Fassung lediglich die Herbeiführung einer bestimmten Gefährdung forderte, ist nun die Zuführung des gesundheitsschädlichen Stoffes zum tatbestandlichen Verletzungsmittel geworden.21 Diese Verletzung wird im Normalfall bereits durch die Bejahung der Gesundheitsschädigung (§ 223 I Alt.2) im Grunddelikt festgestellt.22 Bei A wurde nicht nur die körperliche Misshandlung, sondern auch die Gesundheitsschädigung festgestellt. Diese wurde durch keine andere Ursache als die Aufnahme von Salz hervorgerufen. Somit ist die grundlegende Voraussetzung als Verletzungsmittel gegeben.

cc) Fraglich ist aber, ob Salz auch die weiteren Voraussetzungen als Tatmittel erfüllt. Diesbezüglich gehen die Ansichten auseinander. Es werden unterschiedliche Ansprüche an die Gesundheitsschädlichkeit gestellt.

(1) Salz könnte nach einer ersten Meinung als Tatmittel geeignet sein. Es seien keinerlei weitere Einschränkungen an der Gesundheitsschädlichkeit zu machen.23 Dies wird damit begründet, dass der heutige § 224 I Nr.1 gegenüber dem § 229 I aF nach dem 6. StrRG 1998 nicht mehr fordert, dass der Stoff die Gesundheit zu zerstören geeignet ist. Auch wurde bei der Reformierung durch den Gesetzgeber bewusst auf einschränkende Erfordernisse, wie die Herbeiführung der Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung verzichtet24, obwohl noch in der Entwurfsfassung ein solches Kriterium gefordert wurde.25 Jedwede Ergänzung wird unter Hinweis auf Art. 103 II GG untersagt. Diese Ansicht hat zur Folge, dass die Verabreichung jedes Stoffes, wenn dieser tatsächlich einen Gesundheitsschaden hervorruft, der über das Maß einer bloß unerheblichen Gesundheitsbeeinträchtigung hinausgeht, unter den erhöhten Strafrahmen der Qualifikation fällt. Das Salz hat bei A zu einer Gesundheitsschädigung geführt. Weitere Voraussetzungen werden an den Stoff nicht gestellt. Somit ist Salz nach dieser Ansicht ein geeignetes Tatmittel.

(2) Salz könnte auch nach einer zweiten Ansicht geeignet sein. Nach dieser wird die erste dahingehend erweitert, dass eine konkrete Gefahr einer erheblichen Schädigung im Einzelfall zu fordern sei.26 Dabei wird auf eine systematische Gleichstellung des § 224 I Nr.1 mit der Nr.2 abgestellt. Die überflüssige Anforderung der einfachen Gesundheitsschädlichkeit sei durch die einer besonderen Gefährlichkeit für den Körper des Opfers zu ersetzen, wie es bei den Werkzeugen in Nr.2 der Fall ist. Dafür würde die Gesetzesüberschrift, die gleiche Strafandrohung der anderen Tatvarianten des § 224 I und das hohe Strafmaß sprechen.27 Gegen den Einwand des Grundgesetzverstoßes28 spricht die verfassungsrechtliche Leitmaxime der Verhältnismäßigkeit, die teleologisch Restriktionen zulässt.29

Nach dieser Meinung wird die Beibringung von Gift zu einem konkreten Gefährdungsdelikt, dem nicht wie der ersten Ansicht bereits eine geringfügige Verletzung genügt, ohne, dass die Beibringung zugleich eine Gefahr erheblicher Schädigungen mit sich bringt. Diese erhebliche Schädigung muss nicht tatsächlich eingetreten, jedoch zu befürchten sein. Die Gefahr einer erheblichen Schädigung wird dabei an der konkreten Situation für das spezielle Opfer ermittelt. Seltene Abnormalitäten können den Stoff bei einer außergewöhnlichen Verträglichkeit ebenso als ungeeignetes, wie bei einer Unverträglichkeit als geeignetes Tatmittel einstufen. Auf die Ungeeignetheit "an sich"30 kommt es dabei überhaupt nicht an. Vielmehr bedeutend sind die Art der Anwendung, die Menge, Dosierung und die Konstitution des Opfers im Einzelfall. Die Vielzahl der denkbaren Faktoren schränkt die Berechenbarkeit der Gefahr enorm ein. Ob und wieweit ein Stoff in einer konkreten Situation die Gesundheit erheblich zu schädigen vermag, wird unter Umständen erst ex post zu beurteilen sein. Da auch das Befürchten einer Gefahr konkret entwickelt werden muss, ist dieses Kriterium nur wenig hilfreich. So wird die Gefahr zumeist nur zu bejahen sein, wenn sie sich auch realisiert hat. Dies lässt diese Ansicht praktisch sehr nah an die erste heranrücken; bloß mit der Maßgabe einer erheblichen Verletzung.

Fraglich ist, ob für A die Gefahr einer erheblichen Schädigung bestand. Mit einer erheblichen Verletzung ist eine Verletzung des Körpers gemeint, die dessen Funktionen oder dessen Erscheinungsbild so einschneidend und nachhaltig beeinträchtigt, dass der Verletzte schwer getroffen ist und beträchtlich darunter zu leiden hat.31 Nicht erforderlich ist eine schwere Körperverletzung iSd § 226 I, oder eine schwere Gesundheitsschädigung.32 Der Verzehr von 32g Salz hat bei der 4jährigen A zu starkem Durchfall und Erbrechen geführt. Ein vergleichbarer Brechmitteleinsatz bei Erwachsenen wird von medizinischen Gutachtern teilweise für unerheblich gehalten. Jedoch nur unter ärztlicher Aufsicht. Der EGMR hält Brechmitteleinsatz für gefährlich und sogar für Folter.33 Gerade Kinder haben unter solchen Gesundheitsverletzungen beträchtlich zu leiden. Bei ihnen kann es auch schon nach kurzer Zeit zu lebensgefährlicher Dehydratation kommen. Somit hat sich in diesem konkreten Fall für A die Gefahr einer erheblichen Schädigung durch das Salz realisiert. Folglich ist Salz auch nach dieser zweiten Ansicht ein geeignetes Tatmittel.

(3) Nach einer dritten Meinung (hM) müsste das Salz nach seiner Art und dem konkreten Einsatz zur erheblichen Gesundheitsschädigung geeignet sein.34 Demnach wäre § 224 I Nr.1 ein abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt. Im Unterschied zur zweiten Ansicht wird keine konkrete Gefahr einer erheblichen Schädigung, sondern eine Eignung zur erheblichen Schädigung in der konkreten Anwendung gefordert. Hierin ist ein gewisser Objektivierungsversuch zu erkennen. Dies beruhe auf dem § 229 aF.35 Es ist allein von der Bezugsgruppenwahl abhängig, ob überhaupt eine unterschiedliche Bewertung zur zweiten Ansicht besteht. Je spezieller die Bezugsgruppe gewählt wird, desto enger rücken die Ansichten aneinander.

Es müsste für A eine abstrakte Bezugsgruppe gefunden werden, an der die Geeignetheit zu ermitteln ist. Zu berücksichtigen ist dabei wieder die Konstitution. So müssten 32g Salz generell dazu geeignet sein, bei 4jährigen Kindern erhebliche Gesundheitsschädigungen hervorzurufen. Bei A wurde Erbrechen und starker Durchfall verursacht, die als erhebliche Schädigung einzustufen sind. Dies lässt auch auf eine abstrakte Geeignetheit schließen. Auch führt die Aufnahme von 0,5 bis 1g Salz pro Kilogramm Körpergewicht in aller Regel zum Tode. So sind auch bei geringeren Mengen erhebliche Gesundheitsschäden zu befürchten. Somit sind 32g Salz auch abstrakt geeignet, in entsprechenden Situationen eine erhebliche Gesundheitsschädigung hervorzurufen. Folglich ist Salz auch nach der herrschenden Meinung ein geeignetes Tatmittel.

(4) Im Ergebnis ist Salz nach jeder Ansicht ein geeigneter Stoff iSd § 224 I Nr.1.

dd) Zur näheren Einordnung ist fraglich, ob Salz ein Gift ist. Obwohl als müßig bezeichnet36, wird zwischen Gift und anderen Stoffen generell unterschieden. Gift kann jeder organische oder anorganische Stoff sein, der unter bestimmten Bedingungen durch chemische oder chemisch-physikalische Wirkung die Gesundheit beeinträchtigen kann.37 Die anderen gesundheitsschädlichen Stoffe können unter anderem mechanische oder thermische Wirkungsweisen haben.38 Salz ist ein anorganischer Stoff. Bei A hat der Verzehr von Salz zu Erbrechen und Durchfall geführt. Dies sind Merkmale dafür, dass der Stoff im Körper auf chemische Weise wirkt. Folglich ist Salz ein Gift.

b) M müsste A das Gift beigebracht haben. Nach einer Ansicht reicht als Beibringung schon, dass das Gift so mit dem Körper des Opfers in Kontakt gebracht wird, dass es seine Wirkung entfalten kann.39 Da das Tathandlungselement der Beibringung aber auch zur Abgrenzung des § 224 I Nr.1 zur Nr.2 dient, muss nach einer anderen Ansicht die Wirkung im inneren des Körpers eintreten.40 M hat A gezwungen, den versalzten Pudding auszulöffeln. Das Salz hat bei A im Inneren gewirkt. Somit hat M der A das Gift nach beiden Ansichten beigebracht.

c) Folglich hat M die Körperverletzung gem. § 224 I Nr.1 durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen begangen.

2. M hat die Körperverletzung auch mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung gem. § 224 I Nr.5 begangen, da das Zwingen zum Essen des versalzten Puddings für A objektiv lebensgefährlich war.

VII. subjektiver Qualifikationstatbestand

1. M müsste bezüglich der Giftbeibringung vorsätzlich gehandelt haben. (§ 15) Vorsatz bedeutet hier das Wissen und Wollen aller erläuterten objektiven Vergiftungstatumstände.41

Nach der ersten Ansicht müsste M nur wissen, dass sie die Körperverletzung durch das Salz verwirklicht und dies wollen. M weiß zwar nicht, wie viel Salz in dem Pudding ist, doch weiß sie, dass dieser versalzt ist. Sie will A auch gerade durch das Salz bestrafen. Folglich hat M nach der ersten Ansicht das Salz mit Absicht verwendet.

Nach der zweiten und dritten Ansicht müsste M des Weiteren nur noch wissen und wollen, dass das Salz - sei es abstrakt-konkret oder konkret - die Gefahr birgt, A erheblich zu schädigen. M nimmt als Gefahr hin, dass ihr Handeln zu Magenverstimmungen und Bauchschmerzen führen wird. Dass A sich erbrechen muss und Durchfall bekommt, ist keine wesentliche Abweichung oder bloße Folge von dieser Vorstellung. Vielmehr gehen diese Erscheinungen mit Magenverstimmungen unmittelbar einher. Ob M den vorgestellten Erfolg als erhebliche Schädigung einstuft, ist unbeachtlich. Die Erheblichkeit richtet sich allein nach objektiven Bewertungen. Somit erstreckt sich in diesem Fall der Vorsatz vom Grunddelikt auch auf die Erheblichkeit. Dahingehend sind wohl auch die Äußerungen des BGH zu verstehen.42 Folglich handelte M auch nach der zweiten und dritten Ansicht zumindest mit dolus eventualis.

2. M müsste ebenfalls Vorsatz auf die das Leben der A gefährdende Behandlung haben. Nach einer Ansicht genügen die Kenntnisse über die lebensgefährlichen Umstände.43 Nach einer anderen muss für möglich gehalten und in Kauf genommen werden, dass die Handlung lebensgefährlich ist.44 Aus dem Sachverhalt sind diese subjektiven Voraussetzungen nicht zu entnehmen. Folglich handelte M diesbezüglich nicht vorsätzlich.

VIII. Ergebnis: M hat sich wegen gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223 I, 224 I Nr.1 strafbar gemacht, indem sie A zwang, den versalzten Pudding vollständig auszulöffeln.

C. Strafbarkeit wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen gem. § 225 I scheidet aus, da dem Sachverhalt weder zu entnehmen ist, dass M aus einer gefühllosen Gesinnung45 misshandelt, noch dass ein länger dauerndes46 Quälen vorliegt, noch dass eine Vernachlässigung vorliegt.

D. M könnte sich aber auch wegen Körperverletzung mit Todesfolge gem. § 227 strafbar gemacht haben, indem sie A zwang, den versalzten Pudding vollständig auszulöffeln.

I. Dazu müsste M als Grunddelikt eine Körperverletzung verwirklicht haben. M hat rechtswidrig und schuldhaft eine gefährliche Körperverletzung (§§ 223, 224) vollendet.

II. Des Weiteren müsste als qualifizierende Folge iSd § 18 der Tod der verletzten Person vorliegen. A ist tot.

III. Es müsste jedoch auch ein Gefahrzusammenhang zwischen der Körperverletzung und der schweren Folge bestehen. Die Spezifische Gefahr des Todes, die der Körperverletzung anhängt, muss sich im tödlichen Ausgang unmittelbar niedergeschlagen haben.47

1. Nach der Letalitätslehre48 wird ein gefahrspezifischer, unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Körperverletzungserfolg und dem Todeseintritt gefordert. Es muss sich die Gefahr realisiert haben, die von Art und Schwere der Verletzung herrührt.49 Demnach müssten sich im Tod der A gerade die letalen Gefahren verwirklich haben, die dem Erbrechen und dem starken Durchfall innewohnen. Durchfall und Erbrechen bergen bei Kindern ein erhöhtes Risiko der Dehydratation, die auch zum Tod führen kann. Die A ist jedoch nicht an den Folgen einer Dehydratation durch Erbrechen und Durchfall, sondern direkt an der Kochsalzvergiftung gestorben. Somit haben sich im Tod auch nicht die spezifischen Gefahren der Körperverletzung durch die M verwirklicht. Dass der Tod bei Kochsalzvergiftungen ebenfalls durch Dehydratation hervorgerufen wird, ist dabei unerheblich. Somit ist nach dieser Meinung der Unmittelbarkeitszusammenhang zu verneinen.

2. Nach neuerer Rechtsprechung50 wird als Gefahrenursache der ganze Körperverletzungsvorgang mit allen Ausführungs- und Begleithandlungen betrachtet. So genügt es nach dieser Ansicht bereits, dass gehandelt wurde, ohne dass dadurch überhaupt ein Erfolg iSd § 223 eingetreten ist. In dem Tod der A müsste sich hiernach zumindest die der Handlung der M immanente Gefahr verwirklicht haben. M hat A dazu gezwungen, Salz zu essen. Hierin besteht die Gefahr einer Kochsalzvergiftung, die tödlich wirken kann. A ist an dieser Kochsalzvergiftung gestorben. Folglich ist nach dieser Ansicht der Gefahrzusammenhang gegeben.

3. Streitentscheid: Für die neuere Rechtsprechung spricht, dass bereits in der bloßen Körperverletzungshandlung ein erheblicher Unrechtsgehalt liegt.51 Jedoch neigt diese Ansicht dazu, sich immer weiter von dem Eigentlichen Gefahrzusammenhang zu distanzieren. § 227 muss gerade wegen des hohen Strafmaßes auch einen hohen Anspruch an die Tat stellen und nicht bloß eine Kombination aus § 223 und § 222 fordern. Es ist nicht sachgerecht, direkte Tötungshandlung nicht als solche zu behandelt, sondern den Täter über den Umweg der Körperverletzung über § 227 zu belangen. Somit ist der Letalitätslehre zu folgen. Folglich ist der Unmittelbarkeitszusammenhang zu verneinen.

IV. Ergebnis: M hat sich nicht wegen Körperverletzung mit Todesfolge gem. § 227 strafbar gemacht.

E. M könnte sich jedoch wegen fahrlässiger Tötung gem. § 222 strafbar gemacht haben, indem sie A zwang, den versalzten Pudding vollständig auszulöffeln.

I. Tatbestand: Dazu müsste M den Tod der A fahrlässig verursacht haben.

1. Erfolg: Dadurch, dass M die A zum Verzehr von Salz gezwungen hat, ist A gestorben.

2. M müsste des Weiteren die objektive Sorgfaltspflichtverletzung begangen haben. Objektiv sorgfaltspflichtwidrig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.52 M verletzt die erforderliche Sorgfalt durch eine Körperverletzungshandlung. Somit liegt eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung vor.

3. Des Weiteren müsste der Tod der A objektiv vorhersehbar gewesen sein. Objektiv voraussehbar ist, was ein umsichtig handelnder Mensch aus dem Verkehrskreis des Täters unter den jeweils gegebenen Umständen auf Grund der allgemeinen Lebenserfahrung in Rechnung stellen würde.53 Es entspricht nicht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Salz zum Tode führen kann. Trotz des alltäglichen Umgangs ist kaum verbreitet, dass bereits geringe Salzmengen bei Kindern lebensgefährliche Vergiftungen hervorrufen können. Dies gehöre auch nicht zu jener medizinischen Sachkenntnis, welche sich fast jede Mutter über kurz oder lang aneigne.54 Folglich war der Tod der A objektiv nicht vorhersehbar.

II. Ergebnis: M hat sich nicht wegen fahrlässiger Tötung gem. § 222 strafbar gemacht, indem sie A zwang, den versalzten Pudding vollständig auszulöffeln.

F. Zusammenfassung: Im Ergebnis hat M sich lediglich wegen gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223 I, 224 I Nr.1 strafbar gemacht, indem sie A zwang, den versalzten Pudding vollständig auszulöffeln.

Literaturverzeichnis


  1. Wessels/Beulke AT, Rn. 539a 

  2. BGHSt 43, 177 

  3. Rüger/Marxen, FAMOS Juni 2006, S. 2 

  4. BGHSt 14, 270, 271 

  5. Tröndle/Fischer, §223, Rn. 17 

  6. Lackner/Kühl, § 223 Rn. 4 

  7. OLG Zweibrücken NJW 91, 240 

  8. BGHSt 36, 1, 6 

  9. BGHSt 43, 346, 354 

  10. Lackner/Kühl, § 223 Rn. 5 

  11. Wessels/Beulke, AT, Rn. 156 

  12. Wessels/Beulke AT, Rn. 203 

  13. BGHSt 16, 1 

  14. BGHSt 21, 283 

  15. Wessels/Beulke AT, Rn. 214 

  16. Tröndle/Fischer, § 223, Rn. 17 

  17. Rengier BT 2, § 14 Rn. 2 

  18. Rüger/Marxen, FAMOS Juni 2006, S. 2 

  19. BGH NJW 06, 1822, 1823 

  20. Tröndle/Fischer, § 224, Rn. 5 

  21. Küper BT, S. 65 

  22. Rengier, BT 2, § 14 Rn. 3 

  23. Struensee, S. 48 f 

  24. BT-Drs. 13/9064, S. 15 

  25. BT-Drs. 13/8587, S. 27 f 

  26. Tröndle/Fischer, § 224, Rn. 5 

  27. S/S-Stree, § 224, Rn. 2 d 

  28. Heinrich, JA 95, 605 

  29. NK-Paeffgen, § 224, Rn. 7 

  30. S/S-Stree, § 224, Rn. 2 d 

  31. Stree, Jura 80, 287 

  32. Küper BT, S. 430 

  33. ECHR "Jalloh v. Germany" 11/08/2006, App. 54810/00 

  34. Tröndle/Fischer, § 224, Rn. 5 

  35. Tröndle/Fischer, § 224, Rn. 5 

  36. MK-Hardtung, § 224, Rn. 4 

  37. S/S-Stree, § 224, Rn. 2b 

  38. Tröndle/Fischer, 224, Rn. 4 

  39. Tröndle/Fischer, 224, Rn. 6 

  40. Marxen, Kompaktkurs, S. 40 

  41. Wessels/Beulke AT, Rn. 203 

  42. BGH NJW 06, 1822, 1824 

  43. BGHSt 19, 352 

  44. Lackner/Kühl, § 224, Rn. 9 

  45. BGHSt 25, 277 

  46. BGHSt 41, 113 

  47. BGHSt 31, 96 

  48. Lackner/Kühl, §227, Rn. 2 

  49. RGSt 44, 137 

  50. BGHSt 14, 110 

  51. Wessels/Hettinger BT 1, Rn. 299 

  52. Wessels/Beulke AT, Rn. 656 

  53. Wessels/Beulke AT, Rn. 667a 

  54. LG Frankenthal Urteil v. 15.07.2005 in BGH NJW 06, 1822, 1823